Angefeindet, aber wichtig: Wolfsburg, Hoffenheim und Leverkusen
VfL Wolfsburg, TSG 1899 Hoffenheim, Bayer 04 Leverkusen – drei Bundesligisten, über die gern verächtlich hergezogen wird. Sie hätten keine Tradition und seien daher weniger wert als zum Beispiel der Hamburger SV, wird oft gelästert. Drei Studien zeigen jedoch, dass die drei Klubs ökonomisch und sozial sehr wertvoll für ihre Stadt und Region sind.*
Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke warnte sogar mal mit Blick auf den VfL, Bayer 04 und die TSG, die Bundesliga vertrage nicht noch mehr Werksklubs: Der Mäzen von Hoffenheim etwa, Dietmar Hopp, sei zwar vollkommen in Ordnung. „Die Liga braucht Hoffenheim braucht aber nicht unbedingt.“
Übersehen wird dabei offenbar wie wichtig die drei angefeindeten Klubs für ihre Stadt und Region sind. Studien der EBS Universität für Wirtschaft und Recht weisen enorme ökonomische und soziale Effekte der Bundesligisten auf ihre Standorte nach. So generierte die TSG 1899 Hoffenheim in der Saison 2011/2012 Steuern in Höhe von 3,6 Millionen Euro, denen laufende Kosten in den Städten Sinsheim und Zuzenhausen von 500 000 Euro gegenüber standen. Der Klub bringt der öffentlichen Hand also etwa siebenmal mehr Einnahmen als Kosten.
Ein Top-10-Arbeitgeber der Stadt
Mit 125 Vollzeitarbeitskräften vor Ort gehört die TSG zudem zu den Top-10 Arbeitgebern in Sinsheim und Zuzenhausen. Zählt man zu den Festangestellten die indirekten Arbeitskräfte bei Dienstleistern und geringfügig Beschäftigte an Spieltagen hinzu, so sind es sogar 220 Vollzeitarbeitskräfte.
Ähnliches berichten die Studien von Leverkusen und Wolfsburg. Auch dort sind die Bundesligisten wichtige Arbeitgeber und bescheren den Städten satte Einnahmen. Und das nicht nur über Steuern: Eine Online-Befragung mit insgesamt 3 190 Fußballinteressierten und Fans des VfL Wolfsburg ergab, dass die Stadt Wolfsburg bei jedem Heimspiel der „Wölfe“ durch 640 000 Euro zusätzliche Einnahmen profitiert – beispielsweise weil die Stadionbesucher vor dem Spiel in der Innenstadt noch etwas essen oder dort übernachten. Hochgerechnet auf eine Saison mit 17 Heimspielen ergibt sich dank des VfL ein zusätzlicher Konsum in der Stadt Wolfsburg in Höhe von 10,9 Millionen Euro.
Geschäfte vor Ort profitieren durch die Bundesligisten
In Leverkusen sollen diese Zusatz-Einnahmen noch größer ausfallen als in der VW-Stadt: Mit 730 000 Euro pro Heimspiel der Bayer-Profis sollen die Geschäfte vor Ort profitieren, das sind 12,41 Millionen Euro über eine komplette Bundesliga-Saison gesehen. Der Mehrwert, der die TSG 1899 Hoffenheim generiert, ist ebenfalls beachtlich: Insgesamt summieren sich die jährlichen Einnahmen für die Sinsheimer Geschäfte auf 7,7 Millionen Euro und für die Region auf 2,1 Millionen Euro.
Die Bundesligisten sind zudem ein bedeutender regionaler Abnehmer von Waren und Dienstleistungen. Dazu erneut das Beispiel TSG 1899 Hoffenheim: Von den insgesamt 6,6 Millionen Euro Ausgaben werden 35 Prozent in Sinsheim und 77 Prozent in der Region getätigt. „Es ist Teil unserer Philosophie, regional zu denken. Nur wenn beim Einkauf lokal kein adäquater Dienstleister zu finden ist, suchen wir überregional“, sagt Frank Briel, Geschäftsführer von 1899 Hoffenheim.
All diese positiven ökonomischen Effekte könnten sicherlich auch bei anderen Bundesligisten gemessen werden. Das Besondere bei Hoffenheim, Wolfsburg und Leverkusen: alle drei Klubs sind nicht in einer Metropole beheimatet. Während in Berlin, München, Hamburg oder Stuttgart ohne die Bundesligisten immer noch viel Entertainment geboten wird, liegt der Fokus bei den drei sogenannten Werksklubs aufgrund weniger Alternativen naturgemäß mehr auf dem Profifußball.
Stadien sind Wahrzeichen und Werbung für Städte
Dazu passt, dass die BayArena, die Wirsol Rhein-Neckar Arena und die Volkswagen Arena als das jeweils zweitwichtigste Wahrzeichen ihrer Stadt und Region angesehen werden.
Auch wenn dieses Ergebnis dadurch beeinflusst sein wird, dass die Befragten zum größten Teil Fußballinteressierte sind. Immerhin wurden die Stadien nicht als mögliche Antwort vorgegeben, sondern durch die Befragten von selbst als Wahrzeichen angegeben.
Nicht nur die Stadien, die Klubs selbst zahlen ebenso auf das Image ihres Standortes ein: Drei Viertel der Befragten stimmten beispielsweise zu, dass der VfL Wolfsburg eine große Bedeutung für die Attraktivität der Stadt Wolfsburg hat.
Und der jährlich geschätzte Werbewert etwa von Bayer 04 für die Stadt Leverkusen wird nach einer Studie von Sport+Markt aus dem Jahr 2011 auf circa 2,5 Millionen Euro (2,2 Millionen Euro in Deutschland und 0,3 Millionen Euro international) beziffert – das ist vergleichbar mit rund 75 TV-Werbespots während der Vorrunde der Champions League im ZDF, das pro Werbesekunde 1235 Euro aufruft.
Klubs sorgen für “sozialen Kit”
Insbesondere vor dem Hintergrund eines immer intensiveren Wettbewerbs der Städte um Arbeitskräfte, Investoren und Touristen sind die Bundesligisten für Leverkusen, Wolfsburg sowie Sinsheim und Zuzenhausen von immenser Bedeutung. Auch weil sie es den Einheimischen erleichtert, sich mit ihrer Heimatstadt zu identifizieren und stolz auf sie zu sein. Beflügelt wird das durch das soziale Engagement der drei Klubs. Speziell der VfL Wolfsburg sticht mit 1,3 Millionen Euro in der Saison 2012/13 für soziale und gesellschaftliche Projekt hervor – der Spitzenwert in der Bundesliga. Aber auch Leverkusen und Hoffenheim engagieren sich stark im sozialen Bereich. Zusammen mit Partner-Organisationen investieren sie dafür jeweils 400 000 Euro pro Saison.
Insgesamt, so lautet ein Fazit der Studien, werden die drei oftmals angefeindeten Klubs als bedeutsame Glanzlichter ihrer Region angesehen. Mit signifikanten ökonomischen und sozialen Effekten. Für das Wir-Gefühl ihrer Einwohner sind die drei Klubs, auch aufgrund ihrer speziellen Standortfaktoren, maßgebend: „Wir befinden uns in einer mehr und mehr fragmentierten Gesellschaft. Da kann Profifußball als sozialer Kit wirken“, erklärt Studienleiter Sascha L. Schmidt. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl könnte auch eine Erklärung dafür sein, warum Fans des VfL Wolfsburg laut der Studie zufriedener mit ihrem Leben sind als der typische Einwohner in Niedersachsen. Der angebliche Makel der nicht existenten langen Tradition, den Kritiker immer wieder anführen, scheint bei alldem interessanterweise nicht zu stören.
Zur Kritik an den Studien:
Nicht unerwähnt soll hier bleiben, dass es seitens einiger Medien Kritik an diesen Studien gab, weil die Kosten für die Studien jeweils auch von dem Klub getragen wurde und dadurch ja positive Ergebnisse zu erwarten gewesen wären. Ich hatte den Studienleiter Prof. Schmidt darauf angesprochen. Ihm zufolge hätten die Ergebnisse auch anders ausfallen können, da schließlich auch die jeweiligen Städte die Kosten für die Studien übernommen hatten. Mit anderen Worten hätte auch herauskommen können, dass die Klubs den Städten mehr kosten als nutzen.
Ich bin kein Wissenschaftler, sondern Journalist. Das heißt auch wenn ich für mich in Anspruch nehme, durchaus etwas vom Thema zu verstehen, weil ich bereits einiges dazu gelesen und gehört habe und mich daher als Fachjournalisten bezeichnen würde, ist es immer wieder eine Herausforderung, zu beurteilen, ob eine Studie seriös ist oder ob nicht. Dafür gibt es ein paar Anhaltspunkte, die ich immer wieder abklopfe. Auf ein paar will ich zur Veranschaulichung nachfolgend eingehen:
- Der Autor: Ist er schon mal mit einer anderen Studie als unseriös aufgefallen? Ist mir bei Prof. Schmidt nicht aufgefallen, auch wenn seine Studie zum Wert der DFB-Nationalmannschaft für Deutschland viel Kritik bekam und das in Teilen wohl auch zu Recht, kann man dennoch nicht von unseriös sprechen.
- Das Motiv für die Studie: Wurde sie in Auftrag gegeben? Ist dieser negativ aufgefallen? Hat der Auftraggeber ein bestimmtes Interesse, dass er mit der Studie und entsprechenden gefälligen Ergebnissen verfolgen könnte? Antwort: Ja, das trifft für beide Auftraggeber, also Stadt und Klub, zu. Daher habe ich mit erhöhter Wachsamkeit die restlichen Kontrollfragen gecheckt.
- Könnten die Ergebnisse der Studie jemanden Schaden zufügen? Wenn ja, muss unbedingt gegengecheckt werden, was die offensichtlich Betroffenen dazu meinen und ob es Studien mit gegenteiligen Erkenntnissen gibt. Klare Antwort: Nein, ich sehe keine Geschädigten.
- Sind die Ergebnisse und veröffentlichten Zahlen mit gesundem Menschenverstand nachvollziehbar bzw. gibts zumindest keine großen und wichtige Passagen in der Studie, die auf den ersten Blick überhaupt keinen Sinn ergeben? Dieser Punkt ist zugegebenermaßen immer der schwierigste Part, aber auch der wichtigste. Bei der Studie von Herrn Schmidt sind mir keine Logik-Fehler und unnachvollziehbare Ergebnisse aufgefallen.
* Dieser Text ist in einer leicht modifizierten Version Mitte Dezember im Sportmagazin Kicker veröffentlicht worden.
(Grafiken: EBS Universität für Wirtschaft und Recht)
(Bildquelle: Frank Güllmeister / pixelio.de)
Gründungen der Clubs “wichtig” für die jeweiligen Regionen? Definitiv, klar bringt die Studie plausible Ergebnisse! Aber wichtiger als an anderen Standorten? Wohl nicht! Welche positiven ökonomischen Effekte haben wohl Traditionsvereine mit Bundesligazugehörigkeit, die gesellschaftlich viel tiefer verankert sind, auf ihre Städte? Eher größere als in den genannten Kleinstädten! Die Anfeindungen sind somit auch aus ökonomischer Perspektive verstehbar, indem eine Verringerung des Gesamtnutzens unterstellt werden kann… Letztlich sind die Startplätze in der BuLi auf 18 beschränkt, wenn ökonomische Aspekte diskutiert werden, sollten jene Clubs diese besetzen, die durch die Ligazugehörigkeit den höchsten Nutzen schaffen. Einen Vergleich mit “Traditionsvereinen” wagt die Studie nicht.