FC Schalke 04: Besuch von Konzentrationslagern mit Fan-Gruppen

Immer wieder versuchen rechtsextreme Gruppierungen die Fußball-Fanszene zu unterwandern. Große Traditionsvereine können dagegen mit ihrer Strahlkraft wichtige gesellschaftspolitische Themen besetzen und haben gleichzeitig eine lange Historie, die eine geschichtliche Auseinandersetzung nahelegt. Das hat unter anderem der FC Schalke 04 erkannt und eine Aktion eingeführt, die dem Thema CSR zugerechnet werden kann.

688640_web_R_B_by_Norbert Schalk_pixelio.deDer FC Schalke 04 führt seit ein paar Jahren regelmäßig mit Fan-Gruppen Bildungsfahrten zu ehemaligen Konzentrationslagern aus der NS-Zeit durch, um ein Zeichen für eine aktive Erinnerungskultur zu setzen. Unter dem Leitmotiv #stehtauf bündelt der FC Schalke 04 seit Beginn der Saison 2019/2020 sein Engagement für ein tolerantes und vielfältiges Schalke. Das Motto #stehtauf entstand 2015, als Gerald Asamoah mit Spielern, Trainern und Verantwortlichen nach Übergriffen auf geflüchtete Menschen mit einem bewegenden Video ein unmissverständliches Zeichen gegen Rassismus setzte. Die Botschaft ist nach wie vor relevant und bezieht sich auf den 1997 im Parkstadion entstandenen Gesang „Steht auf, wenn ihr Schalker seid“ – ergänzt durch: „Steht auf, wenn ihr Menschen seid.“

Fahrten zu Gedenkstätten seit 2017

Seit 2017 werden vom Schalker Fanprojekt, in Kooperation mit der Abteilung Fanbelange des S04 und der gemeinnützigen Stiftung des Clubs („Schalke hilft!“), Bildungsreisen mit jeweils rund 25 Fans zu ehemaligen Konzentrationslagern aus der Zeit des Nazi-Regimes durchgeführt. Die Ziele dieser Bildungsreisen sind nach Angaben des Clubs eine historische Aufarbeitung des Nationalsozialismus, Verständigung über Geschichte, Erfahrung und Entwicklungen an authentischen Orten, Aufarbeitung der eigenen Vereinsgeschichte, eine Wertediskussion mit Reflexion von Werten, Idealen und Gesellschaft als Selbstverständigungsprozess sowie eine Förderung des Demokratieverständnis.

Ferner seien die Reisen Teil der Fanarbeit, durch die der Austausch zwischen jungen und älteren Fußballfans durch gemeinsame emotionale Erlebnisse ermöglicht und gegenseitiges Verständnis für unterschiedliche Fanströmungen gefördert werden soll. Und schließlich soll die Motivation und das Engagement bei den S04-Fans gefördert werden, selbst Projekte für eine aktive Erinnerungskultur auszuarbeiten und umzusetzen.

Ein Auszug aus der Beschreibung der Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz, vom 13 bis 17. November 2019:

„Auf der Fahrt erleben die Teilnehmer die nationalsozialistische Vergangenheit der Stadt Gelsenkirchen und erfahren die Verbrechen und die Geschichte der Konzentrationslager im Dritten Reich an Hand ausgewählter Biografien. So werden unter anderem die Geschichten des Widerstandskämpfer Leo Yehudah Diament, Leopold Sauer und Dr. Paul Eichengrün beleuchtet. Sowohl vorab in Gelsenkirchen, als auch in Workshops vor Ort werden die Inhalte gemeinsam vertieft. (…) Auf der Hinfahrt nach Auschwitz wird ein Zwischenstopp in Krakau eingelegt, wo das dortige ehemalige Ghetto besucht wird. An den darauffolgenden Tagen wird es verschiedene Führungen und Workshops geben. (…) Voraussetzung für die Fahrt ist die Teilnahme an einem Vorbereitungsseminar, in dem das jüdische Leben in Gelsenkirchen früher und heute thematisiert wird. Von der Glückauf-Kampfbahn bis zur Neuen Synagoge werden verschiedene Erinnerungsorte abgelaufen und kennengelernt. (…)“

Die folgenden Gedenkstätten wurden bisher beziehungsweise werden noch vom S04 mit Fangruppen besucht:

  • 2017, 2018: Oswiecim, Gedenkstätte Auschwitz
  • 2018: Amsterdam, Anne-Frank-Haus
  • 2019: Oswiecim, Gedenkstätte Auschwitz und Ghetto Krakau
  • 2019: Gedenkstätte Wewelsburg
  • 2020: Gedenkstätte Dachau
  • 2022: Weimar, Gedenkstätte Buchenwald
  • 2022: Oswiecim, Gedenkstätte Auschwitz

Für eine durchgeführte Bildungsreise fallen laut Schalke 04 in der Regel Kosten im mittleren bis hohen vierstelligen Bereich an – abhängig vom Ziel, Dauer der Fahrt sowie der konkreten Teilnehmerzahl. Der S04 übernimmt diese Kosten, die Teilnehmer zahlen nur einen geringen Anteil im mittleren zweistelligen Bereich für Kost und Unterkunft. Die Fahrten werden über ein Jahr im Voraus geplant und organisiert durchMitarbeiter des Fanprojekts und der Direktion Fans und Vereinsangelegenheiten beim S04. Die Fahrten selbst begleiten üblicherweise drei bis vier Mitarbeiter des Clubs beziehungsweise des Fanprojekts, wobei zwei Mitarbeiter des Fanprojekts meist Sozialpädagogen sind. Die Ausbildung und Weiterbildung der Fanbeauftragten läuft überwiegend über die Deutsche Fußball-Liga, die seit mehreren Jahren Fortbildungen für Fanarbeiter anbietet.

Der S04 wurde vom NS-Regime instrumentalisiert

Die Frage, was die Fahrten dem Club bringen, ist relativ leicht zu beantworten: Die Ziele der Bildungsreisen, wie die historische Aufarbeitung des Nationalsozialismus, werden bei den Teilnehmern sicherlich erreicht. Damit kommt Schalke 04 seiner gesellschaftspolitischen Verantwortung nach, die gerade vor dem Hintergrund der Vereinshistorie besonders wichtig erscheint. Der Club schreibt zu seiner Rolle in der Zeit der Nazis auf seiner Homepage: „Schalke passt mit seinem Image als ‘Arbeiterverein’ perfekt in die NS-Ideologie. Aufgrund der Erfolge ergeben sich zahlreiche Instrumentalisierungsmöglichkeiten durch das Regime, dem sich der Verein auch nicht entzieht beziehungsweise entziehen kann.“ Auch waren die Spieler Ernst Kuzorra und Fritz Szepan Mitglieder der NSDAP und sollen mitunter von den Nazis profitiert haben. Durch die Bildungsreisen zu den Gedenkstätten untermauert der Club seine Haltung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Diskriminierung inhaltlich. Die Fahrten sind nicht nur symbolischer Natur und steigern somit das Ansehen des Vereins nach innen und außen. Nach Angaben des Clubs waren alle angebotenen Fahrten restlos ausgebucht – das Angebot wird von den Fans also verstanden und angenommen. Schalke versucht noch 2022 eine mehrtägige sowie eine eintägige Bildungsfahrt anzubieten, um die Nachfrage abdecken zu können.

Wirkung und Aktionen über die Fahrten hinaus

Über 50 Prozent der Teilnehmenden der Gedenkstättenfahrten tauschen sich nach Clubangaben noch nach über vier Jahren aktiv in gemeinsamen Social-Media-Gruppen oder persönlich bei den Spielen regelmäßig aus. Das Ziel, Fangruppen durch die Reisen zueinander zu bringen, ist damit erfüllt. Die Reisen regen auch zu eigenem Engagement an: Unter anderem organisierten zwei Gruppen eigene antirassistische Projekte und Aktionen (wie beispielsweise den Verkauf von selbst entworfenen Shirts). Zudem stellten Teilnehmer über mehrere Jahre einen Antirassismus-Stand auf dem Schalke-Tag auf die Beine oder sammelten Geldspenden für das Museum Auschwitz.

Das bisher größte Projekt war das Projekt Wildenbruchplatz: Im Rahmen der Gedenkstättenfahrten wurde die besondere Bedeutung des Platzes in Gelsenkirchen als ein Sammelpunkt für die Deportation von Juden bekannt. Teilnehmer der Gedenkstättenfahrt wollten daraufhin diese Bedeutung sichtbar machen. Am 27. Januar 2022 wurde an dem Platz eine Erinnerungstafel installiert, passend zum 80.-Jahrestag der Deportation von mehr als 500 Juden aus Gelsenkirchen. Weitere Aktionen wie eine Ausstellung sind geplant.

(Foto: Norbert Schalk  / pixelio.de)

Text mit jemandem teilen? Dann... Email this to someoneTweet about this on TwitterShare on FacebookShare on Google+

Noch keine Kommentare

Hinterlasse eine Antwort

Required
Required
Optional

XHTML: Du kannst diese Elemente nutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>