Ein Kleinod zum Thema Fanbindung
Fanbindung oder Fan-Loyalität ist extrem wichtig für alle professionellen Sportveranstalter. Egal ob ein Tennisturnier wie am Hamburger Rothenbaum, eine Galopprennbahn oder ein Fußball-Bundesligist: Überall wird viel daran gesetzt, dass der zahlende Zuschauer derart viel Gefallen an seinem Besuch empfindet, dass er möglichst gar nicht anders kann als wieder zu kommen. Ein Musterbeispiel für eine Maßnahme zur Fan-Bindung und gleichzeitigen Stärkung des Klub-Images hat dieser Tage der VfL Wolfsburg geliefert.
Ein paar Worte zu Einordnung, bevor ich zum aktuellen Beispiel des VfL komme: Damit Zuschauer möglichst immer wieder als zahlende Besucher einer Sportveranstaltung kommen und diese möglichst auch über die Eintrittskarte hinaus finanziell unterstützen – indem sie beispielsweise Fanartikel kaufen – wurde schon Vieles erdacht und ausprobiert. Seien es nun besondere, optisch sehr ansprechende Boxen, in denen der Fan bei einer erneuten Bestellung seine Dauerkarte zugeschickt bekommt oder sogenannte Give-aways wie etwa kleine Spielzeugfiguren oder Leuchtstäbe, die der Zuschauer beim Betreten oder Verlassen des Veranstaltungsortes kostenlos in die Hand gedrückt bekommt. Längst versuchen Sportveranstalter unter dem Begriff „Big Data“ auch, möglichst viele Informationen zu Vorlieben und Ausgabenverhalten der Zuschauer zu sammeln, indem sie etwa entsprechende Erkenntnisse vom Ticketing übers Merchandising bis hin zum Catering in einem CRM-System bündeln. Es wird analysiert und über Umfragen eruiert wie ein noch besseres und durchgängiges Fanerlebnis kreiert werden kann. Auch beim Design der Trikots durften Fans schon mitwirken.
All das und noch viel mehr, um die Loyalität und Fanbindung zu erhöhen. Denn die simple Rechnung lautet: Je loyaler der Fan, umso mehr gibt er für den Gegenstand seines Fan-Seins aus und umso länger bleibt er treu, auch wenn die sportliche Entwicklung mal nach unten zeigt.
Bei alldem ist immer etwas Fingerspitzengfühl nötig. Nicht alles, was vermeintlich das Fan-Erlebnis steigert, kommt beim Großteil der Fans positiv an. Prominentes Beispiel dafür ist die Halbzeitshow des DFB-Pokalfinalspiels 2017, bei der Schlagersängerin Helene Fischer auftrat. Für viele bemüht traditionsbewussten Fußballfans war das zu viel neumodisches Entertainment, das an den Bedürfnissen des „normalen, kleinen“ Fans vorbeigeht. Ein gellendes Pfeifkonzert war die Folge.
Mit neumodisch oder an den Bedürfnissen vorbei hat das aktuelle Beispiel vom VfL Wolfsburg zum Thema Fan-Bindung nichts zu tun. Im Gegenteil: Das Beispiel hat mit einer Trinkhalle, einem Kiosk in der Innenstadt von Wolfsburg zu tun, wo sich Fans des VfL seit Jahrzehnten vor Heimspielen treffen, ein paar Biere trinken und anschließend zum Stadion gehen. Für Aufregung in der Fan-Szene sorgte die grün-weißen Trinkhalle, als bekannt wurde, dass der mittlerweile 83-jährige Inhaber Giovanni Moschetto seinen Kiosk so ziemlich von jetzt auf gleich zumachen soll, weil der Grundstückseigentümer dort lieber profitablere Parkplätze bauen will. Nach fast 40 Jahren sollte der Moschetto also aus reiner Profigier seinen Lebensinhalt verlieren – so sahen es viele VfL-Fans. Protestinitiativen folgten und schließlich landete der Fall vor dem Amtsgericht Wolfsburg. In einer Güteverhandlung kam es nun zur Einigung: Die grün-weiße Trinkhalle bleibt bis Ende 2019 bestehen, dafür steigt die monatliche Miete um 90 Euro, was genau die Summe ergibt, die der Grundstückseigentümer mit Parkplätzen erzielen würde.
Was der VfL und Fan-Bindung damit zu tun hat? Gemach, gemach, hier kommt die Antwort: Ein paar Stunden nach der gerichtlichen Einigung, die allgemein positiv aufgenommen wurde, da dem Betreiber im Seniorenalter nun mehr Zeit mit seiner Trinkhalle bleibt, gab es für ihn und anwesende VfL-Fans eine große Überraschung: Nach Absprache mit dem Fan-Beauftragten des VfL Holger Ballwanz unterbrachen die Profis Maximilian Arnold und Robin Knoche ihr Training, stiegen in einen mit Logo und in den Farben des VfL lackierten Bulli und fuhren vor der Trinkhalle vor. Dort überreichte erst VfL-Sportdirektor Marcel Schäfer dem verdutzten Moschetto ein Trikot mit passendem Namens-Rückenaufdruck „2019 – Moschetto“. Der Knalleffekt kam aber noch: Abwehrspieler Knoche sagte in voller Trainingsmontur: „Wir haben uns in der Mannschaft gedacht, dass wir die Pacht für ein Jahr übernehmen.“ Lauter Jubel und Applaus der Umstehenden unterbrachen seine kleine Ansprache, die von den Initiatoren der Aktion herbei erbetenen Journalisten einer lokalen Tageszeitung mitgefilmt wurde. Das kurze Video wurde inzwischen tausendfach auf Facebook geteilt und überschwänglich kommentiert – für Wolfsburger Verhältnisse ein sehr guter Wert.
Clever ist die Aktion aus mehrfacher Sicht: Der VfL und insbesondere seine Mannschaft steht in der öffentlichen Wahrnehmung auf der Seite des Guten, des kleinen Mannes. Die Fans können das Gefühl haben, dass der VfL sich wirklich für ihre Bedürfnisse interessiert, ja sich sogar dafür einsetzt. Für das Bedürfnis nach Geselligkeit und festen Ankerplätzen zum Ausleben und Aufbau gewisser Traditionen – und wenn es nur so etwas aus gewisser Sicht Profanes ist wie das Trinken von Bier an einem halbwegs netten Platz vor einem Heimspiel. Und es ist auch clever, dass ausgerechnet Maxi Arnold und Robin Knoche als Protagonisten auftraten: Beide Spieler gelten bei eingefleischten VfL-Fans als jene VfL-Profis, die am authentischten wirken und das meiste Identifikationspotenzial besitzen. Durch sie wirkte die Aktion glaubwürdiger. Dass sie das Angebot des tränenschwangeren Trinkhallen-Betreibers auf eine Runde Freibier mit dem Hinweis ausschlugen, sie müssten zurück auf den Trainingsplatz, rundet das Bild ab. Denn welcher Fan würde nicht der Aussage zustimmen: Trinkhalle hin oder her, richtig wichtig ist immer noch auf dem Platz.
Foto: Kevin Nobs
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