Warum sich eine Randsportart zum Versuchslabor macht
Umgerechnet rund 28 bis 34 Millionen soll ein (aus gewissen Winkel besehen) interessantes Experiment kosten: Der Radrennklassiker Giro d’Italia ist für drei Tage zu Gast in Israel. Ein Milliardär und die Regierung will es so. Die enormen Risiken dabei scheinen nicht egal zu sein, aber sehenden Auges hingenommen zu werden. Ein PR-Coup ist es allemal. Zunächst mal: Ja, schon klar, dass der Giro nach der Tour de France als das zweitwichtigste Radrennen der Welt gilt. Genauso bekannt ist, dass sich das zig Millionen von Zuschauern ansehen werden. Also im Fernsehen. An der Strecke vielleicht eher nicht: Die Israelis mögen sich für Fußball und Basketball interessieren. Eine Radsportbegeisterte Nation ist Israel nicht. Es fehlen sogar vielerorts gut ausgebaute Radwege. Aber man wird es heute, morgen und am Sonntag sehen, wie viele Israelis sich die vorbeizischenden Radler an der Strecke angucken und sich danach ihren Teil denken.
Also, klar ist der Giro im Radsport-Zirkus wichtig. Außerhalb davon hat er aber klar dagegen anzukämpfen, dass er zu einer Randsportart gehört, die wirklich alle Register ziehen muss, um ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit zu stoßen. Eine kurze Umfrage auf einer x-beliebigen deutschen Fußgängerzone würde das zeigen: Kaum jemand würde wissen, wer den Giro im vergangenen Jahr gewonnen hat. Vermutlich wüssten viele Befragte noch nicht mal, was der Giro überhaupt ist.
Insofern ist es aus Marketingsicht nachvollziehbar, den Giro-Start nach Israel zu verlegen. Was für Schlagzeilen! Was für eine Medienpräsenz! Zumal auch das Geld stimmen sollte, die die Veranstalter des Giro einstreichen können. Ein Viertel der Kosten von geschätzt 28 bis 34 Millionen Euro übernimmt Medienangaben zufolge die Regierung Israels, darunter . Das Ziel: Mit dem Radrennen wollen die Polit-Funktionäre ihre Bemühungen befeuern, Israel für europäische Touristen interssanter zu machen. Ein großes Sportevent könnte da in der Tat helfen, dass es in diesem Land noch etwas anderes, also ein normales Leben, neben dem Nahost-Konflikt gibt.
Das Problem: Warum um alles in der Welt dann aber eine Straßenradrennen, das bei Sicherheitsexperten als eines der schwersten zu schützenden Veranstaltungen überhaupt gilt? Die Motivation in der feindlich-gesinnten arabischen Welt, den Isrealis mit einem Anschlag einen Strich durch die Rechnung zu machen, droht immens hoch zu sein. Es ist stark zu bezweifeln, dass es im Falle eines Falles auch für noch so abgebrühte Marketingfachleute heißt: Schlechte PR ist auch gute PR. Jedes andere Sportgroßevent, das in einem Stadion oder einer Halle durchgeführt werden kann, wäre tausendmal besser gewesen. Selbst wenn dann keine malerischen Bilder der israelischen Landschaft von den Kameras während der Wettkämpfe in alle Welt übertragen werden. Auch die angeblich rund 6000 Polizisten werden die Strecke nicht lückenlos bewachen können.
Bleibt nur zu hoffen, dass sich kein Verrückter zu einer Wahnsinnstat aufmacht. Dann wird man sehen können, ob die Analysen der Medienpräsenz im Nachgang herausfiltern, dass sich das Experiment “Radsportrennen im Krisengebiet” als erfolgreicher PR-Coup ohne menschliche Opfer erwiesen hat. Möglicherweise macht das Beispiel dann ja sogar Schule. Und es finden künftig noch andere Sportgroßveranstaltungen in Krisengebieten statt. Weil es so eine tolle PR einbringt. Ach so, der Milliardär, der Israel zum Radsportland machen will, heißt übrigens Sylvan Adams; aufgewachsen in Kanada als Sohn eines rumänischen Holocaustüberlebenden, reich geworden mit Immobiliengeschäften. Und hoffentlich nicht bald bekannt für ein Experiment auf Kosten von Schachfiguren beziehungsweise Radfahrern.
Bildquelle: ©Dieter Schütz/PIXELIO
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