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Der Knackpunkt der Reform des Spitzensportfördersystems
Bundesinnenministerium und der Deutsche Olympische Sportbund wollen die Förderung des Spitzensport neu strukturieren. Mehr Effizienz, eine bessere Steuerung und letztlich mehr Erfolg sind die Ziele. Das vorläufige Reformpapier enthält viele positive Ideen. Gewiss, zu diesem Thema gab es bereits gefühlt 100 Artikel und Berichte in den Medien. Merkwürdigerweise ist offenbar noch niemanden sonst aufgefallen, dass die Reform eine grundlegende Schwäche hat.
Das Eckpunktepapier zur Reform der Spitzensportförderung ist wie ein Auto ohne Preisschild: Durchaus schön anzuschauen, aber bislang völlig unklar, ob es bezahlbar ist.
Seit Anfang 2015 haben unter der Führung des Bundesinnenministeriums (BMI) und des Deutschen Olymischen Sportbundes (DOSB) insgesamt acht Arbeitsgruppen gespickt mit ehemaligen Olympioniken, Sportwissenschaftlern sowie Vertretern der Spitzensportverbände und Landessportbünde eine Ist-Analyse der deutschen Spitzensportförderung vorgenommen. Zu den aufgedeckten Schwächen, auch im Vergleich zu anderen Nationen, haben sie Lösungen ausgearbeitet, die schließlich in ein Reformpapier geflossen sind. Das formulierte Ziel der Neustrukturierung ist es, „den Spitzensport zukünftig erfolgreicher zu machen und gezielter Erfolgspotenziale für Podiumsplätze“ zu fördern.
Grob zusammengefasst soll das so gelingen: Eine deutlichere Athletenfokussierung, mehr Effizienz durch höhere Konzentration und eine bessere Steuerung. Das Reformpapier soll in seinen Grundzügen schon bei der nächsten Mitgliederversammlung des DOSB Anfang Dezember verabschiedet und ab 2019 vollumfänglich umgesetzt werden. Es gilt als sicher, dass die mehr als 60 DOSB-Mitgliedsverbände das Papier mehrheitlich absegnen .
Dass die Reform nur wenige Wochen nach der Vorstellung bereits beschlossen werden soll, kann man durchaus kritisch sehen.
DOSB-Präsident Alfons Hörmann betont zwar, dass das Reformpapier noch verändert wird und sich die Beteiligten, etwa die Sportverbände, mit ihren Wünschen und Forderungen einbringen können – das haben sie auch getan, rund 150 Änderungsvorschläge sind beim DOSB eingegangen. Das ändert aber wenig daran, dass die Umsetzung vieler Reformeckpunkte wie die geplante Einführung einer hauptamtlichen Leitung bei den Bundesstützpunkten oder die Forderung nach mehr Hauptämtern in den Sportverbänden, viel Geld kosten wird. Und vor allem bis dato nicht geklärt ist, wie viel Geld das kosten dürfte.
Genauso bleibt die Frage bislang unbeantwortet ist, wo das Geld dafür herkommen soll. Das Einzige, was es dazu zu hören gibt, ist, dass es eventuell eine Anschubfinanzierung durch das BMI geben soll. Und dass über die Finanzierung erst in 2017 final beratschlagt wird.
Spitzensport-Reform: Machbarkeit bei einigen Punkten unklar
Ohne eine gesicherte Finanzierung droht die ambitionierte Reform der deutschen Sportförderung – zumindest in Teilen – zu einer reinen Willensbekundung ohne Wirkung zu verkommen.
Beispielsweise soll mit der Reform die Situation der Trainer verbessert werden. Ihre arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen oder auch ihre Entlohnung. Derlei Ideen sind höchst sinnvoll, aber nichts Neues. Bereits der Deutsche Sportbund hatte 2005 eine „Traineroffensive“ ausgerufen. Genützt hat es kaum etwas. Die Situation ist für viele Trainer weiter ernüchternd, weshalb zu viele von ihnen ins Ausland abgewandert sind. Für eine Verbesserung fehlte bislang oft einfach das Geld.
Christoph Niessen, Vorsitzender der Geschäftsführung und des Vorstands des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen, kann daher über die im Reformpapier formulierten Pläne zur Verbesserung der Trainersituation nur müde lächeln. „Das wird nicht funktionieren, wenn es nicht mehr Geld gibt. Spitzentrainer müssten eigentlich genauso gut wie Ingenieure bezahlt werden, die wie die Trainer im globalen Wettbwerb stehen“, sagt Niessen.
Die aktuelle Realität ist eine andere: Thomas Konietzko, Präsident des Deutschen Kanu-Verbandes (DKV), beklagt, dass er wahrscheinlich zu Beginn des Jahres 2017 fünf Trainer im Jugendbereich entlassen muss. Der Grund: Das BMI hat bislang für alle Sportarten nur 93 Prozent des bisherigen Budgets bewilligt. „Dabei haben wir eigentlich einen Mehrbedarf von 600 000 bis 800 000 Euro vor allem im Personalbereich“, sagt Konietzko. Auch Mario Woldt, Sportdirektor des Deutschen Ruderverbandes (DRV), befürchtet, dass sein Verband nicht um Lohn-Kürzungen oder Kündigungen bei den Trainern herumkommt. „Das ist ein ganz schlechtes Signal. Dabei benötigen wir doch beste und motivierte Trainer“, sagt Woldt und hofft, dass sich die Situation mit den angekündigten Nachverhandlungen im ersten Quartal 2017 rasch bessert.
Mehr Geld durch Einsparungen zum Beispiel bei Bundesstützpunkten?
Möglicherweise verbessert sich die Situation durch eine höhere Effizienz im Fördersystem, sodass mehr Geld für Trainer und Hauptamtliche in den Verbänden und Bundesstützpunkten (BSP) übrigbleibt. Beispielsweise sollte die geplante Schließung von rund 40 der aktuell 204 Bundesstützpunkten geeignet sein, um Gelder einzusparen. Leiden wird die Spitzensportförderung durch die Schließung jedenfalls nicht, glauben Fachleute wie Niessen: „Das macht Sinn, weil nicht an allen Stützpunkten genügend Kaderathleten und benötigte Strukturen vorhanden sind.“
Ebenfalls scheint die Zusammenlegung von Olympiastützpunkten (OSP) sinnvoll. Im Reformentwurf ist von einer Reduzierung von derzeit 19 Olympiastützpunkten auf 13 die Rede. Aktuell weisen die 19 OSP eine ungewöhnlich heterogene Trägerschaft auf, die eine zentrale Steuerung und Verwaltung unnötig erschwert, sagt Niessen. „Das gehört abgeschafft.“ Der Chef des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen betont, dass diese Änderung bei den Olympiastützpunkten die Spitzensportförderung keineswegs schwächen würde: Die Standorte sollen schließlich alle erhalten bleiben – unter neuer Leitung als Außenstelle eines anderen OSP.
Es gibt weitere Punkte, die Einsparungen bringen könnten. Beispielsweise die Reduzierung der Anzahl der geförderten Athleten. Jedenfalls ist im ersten Entwurf der Reform die Rede davon, dass weniger gefördert werden sollen als die derzeit 4282 Sportler. Die Crux ist aber auch hier: Bislang ist nicht bekannt, wie viel weniger Athleten gefördert werden sollen und wie viel Geld die Reduzierung einsparen wird.
Theater um neue Fördersystematik
Merkwürdigerweise wurde über die unsichere Finanzierung kaum ein Wort verloren. Stattdessen haben sich Dutzende Vertreter der Sportverbände und Wissenschaftler in den Medien zu den vermeintlichen Schwächen der neuen potenzialorientierten Fördersytstematik ausgelassen – insbesondere zu dem perspektivischen Berechnungsmodell „PotAS“ (Potenzialanalysesystem) mit den Oberkategorien Erfolg, Perspektive und Strukturen und derzeit 20 Attributen und 59 Unterattributen. Im Kern sollen so nicht mehr die Erfolge der Vergangenheit im Mittelpunkt der Sportförderung stehen, sondern die Erfolgsaussichten der Zukunft.
In der medialen Aufregung ging jedoch unter, dass das Analysesystem im Detail noch verhandelbar ist und es sich letztlich wohl eher um einen Versuch handelt, sich einer schlussendlichen Entscheidung über die Fördersummen mithilfe von Zahlen und Daten anzunähern.
Zu wenig beachtet wurden auch Aussagen von DOSB-Präsident Hörmann, dass künftig „auch aktuell weniger erfolgreiche Verbände“ gefördert werden – wenn deren Leistungssportkonzept für die Zukunft überzeugt. Die neue Einteilung der Sportarten und Disziplinen in Exzellenzcluster, Potenzialcluster und Cluster mit wenig oder ohne Potenzial soll nur eine erste Bewertung im neuen Fördersystem sein (siehe Grafik „Der Förderzyklus“). Die anschließenden Strukturgespräche des DOSB mit den Spitzenverbänden unter Einbeziehung des BMI, der Länder, der Landessportbünde, der Deutschen Sporthilfe und den DOSB-Partnern aus Wissenschaft und Forschung sollen eine deutlich wichtigere Rolle erhalten.
„Konzepte sind geduldig“Die zum Teil aufgebrachte Diskussion um die potenzialorientierte Fördersystematik hat einen Nachteil, sagt Christoph Niessen: „Vieles im Reformentwurf ist richtig und wichtig, fast nichts falsch. Das wird aber überdeckt vom Heckmeck um die Förderkriterien.“ Dabei sind sich eigentlich alle Beobachter und Beteiligte einig, dass das Fördersystem reformiert werden muss. „Ein ‘Weiter so!’ wäre nicht gut für den Sport“, sagt stellvertretend Mario Woldt. Dem DRV-Sportdirektor schwant, dass das Reformpapier gar nicht so entscheidend ist. „Konzepte sind geduldig. Die Umsetzung wird die eigentliche Herausforderung sein.“ Genau daran krankten frühere Pläne und Reformen wie die der Traineroffensive oder die immer mal wieder geplante Verbesserung der dualen Karriere für Leistungssportler. Für eine gute Umsetzung derlei Konzepte fehlte bislang oftmals schlichtweg das nötige Geld. Es darf bezweifelt werden, ob die nun diskutierte Reform wirklich der große Wurf wird. „Ich glaube nicht, dass sich viel ändert“, sagt Kanu-Präsident Konietzko. „Dafür wird einfach nicht genug Geld in das System gesteckt.“
T. Kuske
Die Links zu den Reformpapieren:
Die Attributenliste des “PotAS” (Potenzialanalysesystem): https://www.bundestag.de/blob/475904/74fecc782870e2224f1569f360d18596/attributenliste-data.pdf
Eckpunktepapier zur Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung: https://www.bundestag.de/blob/474940/6706c4f66150199ea360ae887991b658/entwurf-eckpunktepapier-data.pdf
Präsentation Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung: https://www.bundestag.de/blob/474556/a4c4fdefd6f1706e42fc94acb298bb21/entwurf-neustrukturierung-data.pdf
Diesen Artikel habe ich für das Fachmagazin SPONSORs geschrieben.
(Bildquelle Startseite: Petra Bork / pixelio.de)
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