Warum Bundesligisten Schulen machen
Mitte der 90er gab es in Deutschland die ersten Fußballschulen, mittlerweile gibt es unzählige. Auch weil Proficlubs sie als Mittel zur Fan-Gewinnung und -Bindung entdeckt haben. Nicht nur in Deutschland, auch im Ausland.*
Spricht man über Fußballschulen, geht es schnell um Millionen: 1,42 Millionen Kinder im Alter von 7 bis 14 Jahren spielten im vergangenen Jahr in deutschen Vereinen Fußball – die primäre Altersgruppe, auf die die Fußballschulen oder Feriencamps abzielen. Hinzu kommen die Kinder, die nicht im Verein kicken und dennoch mit ihren Freunden ins Camp mitfahren. Und manche Anbieter richten sich auch an Sechs- und 15-Jährige. Grob geschätzt dürfte die Zielgruppe damit also in Deutschland etwa zwei Millionen Kinder umfassen.
Viel Potenzial also. Und das hat sich herumgesprochen: Mitte der 90er-Jahre fing es mit drei Fußballschulen an, mittlerweile soll es über 300 Anbieter geben. Neben privaten Anbietern wie dem Sportartikelhändler Intersport, der zusammen mit seinem Partner, dem Sportmagazin Kicker, als einer der Marktführer gilt, konkurrieren vor allem die Landesfußballverbände und die Bundesligisten um die kickende Kinderschar. „Es ist schon unglaublich wie sich der Markt entwickelt hat“, sagt Michael Rummenigge, der 1996 eine der ersten Schulen eröffnete und mittlerweile bis zu 40 Camps von April bis Oktober mit rund 2000 Kindern veranstaltet.
Harter Wettbewerb
Dabei ist es für Anbieter von Fußballcamps nicht leicht, im Markt zu bestehen. Seit etwa zehn Jahren kommen immer mehr Anbieter dazu, mitunter auch weniger professionell arbeitende: Eine Qualitätskontrolle gibt es nicht. Vor Jahren haben Anbieter wie Rummenigge deshalb wegen eines Gütesiegels beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) angeklopft. „Damit sind wir gescheitert“, berichtet Rummenigge. Somit steht es jedem offen, welche Inhalte er anbietet, wie viele Trainer er einsetzt und ob diese eine Lizenz vom DFB haben. Oder ob das Training durch Studenten und Praktikanten geleitet wird, die weniger kosten.
Der sparsamere Weg ist weit verbreitet, selbst bei Bundesligisten. Denn die Kosten sind – wie so oft – ein schwieriger Punkt. Neben den Honoraren für Trainer und Betreuer gibt es eine Liste von Posten, die an den Einnahmen zehren. Um ein paar zu nennen: Essen und Trinken, Ausrüstung, Trikotsets, Versicherung, Buchhaltung und sonstige Verwaltung, Miete für Büroräume und Fußballplätze, Transport und Logistik, Homepage und Werbung.
Kann an den Kosten wenig geschraubt werden, bleibt noch, die Preise (für ein Fünf-Tage-Camp ohne Übernachtung, aber mit Trainingsausrüstung und Verpflegung verlangt der HSV zum Beispiel 179 Euro; die Real Madrid Fußballschule 219 Euro) zu erhöhen. Das ist jedoch riskant, das Kunden-Klientel gilt als schwierig. Die Eltern beäugen kritisch, was ihren Kleinen für das Geld geboten wird. So ist es schwer, Gewinne zu erzielen. Maximal 20 Prozent vor Steuern sollen möglich sein, heißt es in der Branche.
Private Anbieter haben es schwer
Vor allem für private Anbieter ist es schwer, sich gegen die Fußballschulen der Bundesligisten zu behaupten, da sie eine Reihe von Nachteilen haben: Das Fußballschulen-Geschäft ist überwiegend saisonal auf die Ferien beschränkt, was die Bundesligisten aber weniger kümmert, da diese auf einen ganzjährigen Verwaltungsapparat zurückgreifen können. Die Bundesligisten haben zudem einen leichteren Zugang zu potenziellen Sponsoren ihrer Fußballschule: Es gibt einige Unternehmen, die wie Mainova in Frankfurt oder Audi in Ingolstadt nicht nur als Sponsor des Bundesliga-Teams auftreten, sondern sich auch bei der Fußballschule des Clubs engagieren.
Die meisten privaten Anbieter bekommen für ihre Camps auch keine Trikotsets zum Einkaufspreis oder zumindest vergünstigten Preis von bekannten Sportartiklern wie Adidas oder Nike, die das bei einer Reihe von Bundesligisten so handhaben. Viele private Anbieter greifen daher auf weniger bekannte und damit vermeintlich weniger attraktive Ausrüster zurück. Es sei denn, sie können die finanziellen Nachteile beim Einkauf der Trikotsets anderweitig ausgleichen – etwa durch den Verkauf der Namensrechte wie die „Wiesenhof Fußballschule“.
Zu den genannten Wettbewerbsvorteilen kommt noch die Bekanntheit der Bundesligisten: Ein Kind in Hannover wird tendenziell eher zur „96-Fußballschule“ gehen als zur „Fußballschule Karsten Surmann“ – auch wenn Surmann mal Kapitän von Hannover 96 war. Oftmals bieten die Bundesligisten zudem mehr, ohne dafür Mehrkosten in Kauf nehmen zu müssen: Zumindest bei den Camps, die in der Nähe des Clubs stattfinden, ist ein Besuch im Stadion, beim Training der Profis oder durch das Maskottchen meist inklusive. Netter Nebeneffekt: Eine höhere Auslastung der Stadionführungen oder des Clubmuseums.
Clubs wollen sensible Phase nutzen
In den vergangenen Jahren haben Clubs der 1. und 2. Bundesliga sowie der 3. Liga ihr Angebot sukzessive ausgebaut – oder sind noch dabei. Im Fokus steht dabei weniger der kurzfristige Gewinn. Die Clubs haben vielmehr erkannt, dass Fußballschulen ein geeignetes Mittel sind, um langfristige Ziele zu erreichen. Beispielsweise, um neue Fans zu gewinnen oder sie noch enger an sich zu binden. Und zwar ohne Gefahr zu laufen, wegen moralisch bedenklicher und zu offensichtlicher Werbung kritisiert zu werden – denn eine Fußballschule wirkt authentisch. Und sie kann Kinder emotionalisieren.
Zudem befinden sich die an den Camps teilnehmenden Kinder und Jugendliche in einer sensiblen Phase der Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung: Die Chance, Fans fürs Leben zu gewinnen, ist in dieser Altersgruppe am höchsten. Charly Körbel von Eintracht Frankfurt sagt, dass er 2001 die „Eintracht Frankfurt Fußballschule“ ins Leben rief, weil er „das Image der Eintracht verbessern wollte“. Lief es anfangs noch schleppend, wurde das Angebot über die Jahre ausgebaut: Über 3000 Kinder waren 2014 in der Eintracht-Schule.
Dafür wird bei den Camps vor der Commerzbank Arena viel geboten: Unter den Trainern sind ehemalige Eintracht-Profis wie Ralf Weber, Ervin Skela oder Oka Nikolov. Das Maskottchen, der Adler Attila, schaut vorbei, zudem sind ein Besuch im Clubmuseum plus Stadionführung inklusive. Und mit etwas Glück trainieren parallel die Eintracht-Profis in unmittelbarer Nähe. Große Kinderaugen sollten damit machbar sein. Attraktiv erscheinen auch die „Spieltagscamps“: Eine Trainingseinheit am Stadion für den Kleinen mit anschließendem Besuch des Spiels zusammen mit dem Papa.
Der Bundesligist schafft damit neue Fans auf Lebenszeit, spätestens wenn die Kinder vor ihren Freunden stehen und an ihrer Jacke prangt ein im Camp erhaltenes Abzeichen mit dem Aufdruck „Ich bin Eintracht!“. Einen Fan, der über Jahrzehnte Fanartikel kauft, die Spiele im Stadion besucht und mit Feuereifer Mund-zu-Mund-Propaganda für den Club macht. Da ist es zu verschmerzen, dass die Camps kaum kurzfristigen Profit erwirtschaften.
Einige Bundesligisten versuchen, dieses Instrument zur Fangewinnung nicht nur an ihrem Standort einzusetzen. Vor allem Bundesliga-Aufsteiger FC Ingolstadt beschränkt sich mit seiner „Audi Schanzer Fußballschule“ nicht auf sein ursprüngliches, regionales Ausbreitungsgebiet: Die Ingolstädter veranstalten Camps bei Vereinen aus zehn Bundesländern. Die „Schanzer“ sind also nicht nur in Bayern aktiv, sondern unter anderem auch in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein oder Brandenburg. Sogar ein Verein aus Österreich, der NAC 1907 Wien, ist als Partner dabei.
Ein anderes Beispiel ist Borussia Dortmund. Der BVB hat in diesem Jahr mehrere Camps in Polen und Österreich durchgeführt und gastiert mit der „BVB Evonik Fußballschule“ seit Jahren auch auf Norderney. Carsten Cramer, Marketing- und Vertriebschef der Borussia, erklärt das Gastspiels auf der Nordseeinsel: „Wir wollen die Menschen auch vor Ort erreichen, um den BVB erlebbar und anfassbar zu machen.“
Real ein Vorbild?
Die Dortmunder wollen ihr Angebot hierzulande ausbauen, das Gleiche ist von anderen Bundesligisten zu hören. Das könnte auch an Real Madrid liegen. Im vergangenen Jahr haben die Madrilenen den deutschen Markt überrollt. Ein Eck-Punkt des Real-Modells: Mach es so massiv wie möglich. Insgesamt 150 „königliche Fußball-Camps“ führte Real mit Partnervereinen durch. Und zwar in in allen16 Bundesländern. So konnten die Schulferien aller Länder genutzt werden.
Zweitens: Durchgestylt im Sinne der eigenen Corporate Identity. Im Gegensatz zu anderen Anbietern bekommen die Kinder im Real-Camp ein hochwertiges Trikotset von Adidas, das dem Original-Trikot sehr ähnlich sieht. So ist es optisch zumindest so als würden die Kinder „Fußball spielen wie Real Madrid“, wie es in einem Werbevideo heißt.
Und drittens eine PR-Strategie, die durchdacht wirkt. Die Agentur Jung von Matt sports half beim kommunikativen Auftritt, Real-Profi Toni Kroos wirbt als „Botschafter“ und allein die Homepage ist im Vergleich ein Hingucker.
Zudem tritt die Real-Stiftung als Träger der Real-Schule auf. So lässt sich leichter verkaufen, dass „der gesellschaftliche Auftrag, die Wertevermittlung die Prämisse“ ist, wie der Direktor von Real Madrid Clinics Germany, Stefan Kohfahl sagt. Deswegen würden zum Beispiel nur jene Kinder zu einem Training in Madrid eingeladen, die neben sportlicher Leistung soziale Kompetenz zeigen. Dass nach bundesweiten „Try outs“ ein bis zwei Kinder mit Elternteil nach Madrid reisen dürfen, kommt gut bei der Zielgruppe an und ist für „die Zeitungen ein Aufhänger“, berichtet Kohfahl.
Die von ihm genannten Zahlen für 2014 können sich sehen lassen: Rund 10 000 Kinder in den Camps, über 1000 Presseberichte und ein Überschuss von 200 000 Euro, der der Real-Stiftung zufloß. In Belgien, Niederlande, Österreich und der Schweiz sollen die Camps ebenfalls gut angelaufen sein. Im nächsten Schritt sollen die Märkte in England, Frankreich, Italien und Polen erobert werden.
Camps für China, Japan, Südafrika
Zwar widerspricht Kohfahl, dass es bei den Real-Fußballschulen um Fangewinnung oder sonst ein Marketing-Ziel geht. Objektiv betrachtet passt diese Aussage aber nicht zum Auftritt der „Clinics Germany“. Vielmehr scheinen die Madrilenen auf das Instrument Fußballschule zu setzen, um ihre Anhängerzahl im Ausland zu erhöhen. Konsequenter als die meisten Bundesligisten jedenfalls.
Ein paar der hiesigen Clubs nutzen ihre Schulen allerdings ebenfalls bereits für ihre Auslandsbestrebungen. So hat Borussia Dortmund in Japan beispielsweise eine ganzjährige Fußballschule aufgebaut und will im Ausland vermehrt auf das Thema Fußballschule setzen, etwa in China. Das sei „einer von vielen Bausteinen bei der Internationalisierung des BVB“, sagt BVB-Mann Cramer. Das Gleiche bei Eintracht Frankfurt: „Wir wollen noch mehr ins Ausland gehen“, kündigt Körbel an. Die Hessen waren mit ihrer Fußballschule schon in Südafrika, Shanghai in China sowie Abu Dhabi, als die Profis dort ein Trainingslager hatten beziehungsweise auf PR-Tour waren.
55 000 US-Kids im Bayern-Trikot
Eine Nummer größer hat es der deutsche Rekordmeister angepackt, zumindest in den USA: Der FC Bayern München vermeldete vor einem Jahr eine Partnerschaft mit Global Premier Soccer (GPS), einer der größten Jugendfußball-Organisationen in den USA. GPS kooperiert mit 75 Clubs in elf US-Staaten. Das sind zusammen 55 000 Kinder und 5000 Trainer, die nun von der Jugendabteilung des FC Bayern in puncto Training unterstützt werden und originale Spiel- und Trainingskleidung des Deutschen Meisters bekommen. Dagegen wirken die Zahlen von Real Madrid in Deutschland schon wieder weniger beeindruckend.
Bildquelle: Eintracht Frankfurt Fußballschule
* Dieser Text wurde in einer kürzeren Version in der Dezember-Ausgabe des Fachmagazins SPONSORs veröffentlicht.
Sehr schöner Beitrag. Klingt ja, als wären die Profi-Vereine mit ihren Sportschulen die modernen Rattenfänger für junge Fußballfans. Sportlich kann die Fußballschule keinerlei Sinn beinhalten.
Eine kleine Korrektur noch: “Mund-zu-Mund-Propaganda” sollte durch Mundpropaganda ersetzt werden.
Beste Grüße!