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Deutschland ist abgehängt
Eine Anhörung im Bundestag hat ein noch nie so klares und niederschmetterndes Bild von der Förderung des Spitzensports in Deutschland zutage gefördert. Durch die Schwächen im System hat sich Deutschland aus dem Kreis der Top-Nationen verabschiedet. Für eine Trendwende bedarf es einiger Änderungen.*
Die Zuhörer staunten nicht schlecht, was sie Mitte Oktober im Sportausschuss des Deutschen Bundestages zu hören bekamen. Und dass die Ohren der Vertreter des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) nicht rot anliefen, war kaum weniger erstaunlich. Denn das Zeugnis, das die Sachverständigen dem Spitzensport und seiner Förderung in Deutschland ausstellten, war niederschmetternd: „Viele Sportarten sind unterbesetzt und nicht konkurrenzfähig. Deutschland ist abgehängt, wir sind nicht mehr unter den Top-Nationen“, sagte Wolfgang Maier, Sportdirektor des Deutschen Skiverbandes.
Joachim Mesters, Professor an der Deutschen Sporthochschule, untermauerte dies mit einer Auswertung, wonach deutsche Athleten seit 1988 immer weniger Medaillen erringen. Bei Olympischen Winterspielen sind es 43 Prozent weniger und bei den Sommerspielen 2012 in London waren es sogar 66 Prozent (siehe dazu auch das sehr lesenswerte Antwortschreiben von Joachim Mester zu den vorher gestellten Fragen des Sportausschusses).
Und das liegt nicht an der gestiegenen Anzahl wettbewerbsfähiger Nationen: Bei anderen Ländern wie Frankreich, die aufgrund ihrer Größe und Staatsform mit Deutschland vergleichbar sind, ist die Zahl der Medaillen auf annähernd gleichem Niveau geblieben oder hat sich sogar erhöht.
Wer hat eigentlich die Verantwortung?
Für Mesters schaffen deutsche Olympioniken einfach nicht die letzten entscheidenden drei Prozent. Dafür bedarf es eines „überproprotionalen Aufwands mit allerhöchsten Qualitätsmaßstäben und einer entsprechenden Kontrolle“. Im deutschen Leistungssport jedoch, so Mesters Fazit, „geht das mit der traditionellen Organisation und ebensolchen Ansätzen in Diagnostik und Training offensichtlich nicht mehr”. Der Sportwissenschaftler monierte zudem eine an Zuständigkeiten statt an Kompetenzen ausgerichtete Förderung sowie eine unzureichende Einbindung wissenschaftlicher Einrichtungen.
So ging es weiter, ein Problem nach dem anderen zählten die Sachverständigen auf. Es gipfelte schließlich in der Aussage von Christoph Niessen, Vorstandsvorsitzender des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen, nur ein Kraftakt könnte eine Trendwende einleiten, „da Veränderungen in einem komplexen System vorzunehmen sind, das sich so weit ausdifferenziert hat, dass es kaum noch steuerbar ist“. Durch die Zersplitterung sei oft nicht erkennbar, „wer den Spitzensport auf Bundesebene tatsächlich führt“.
Das alles ließ den DOSB schlecht aussehen – immerhin bezeichnet sich der Verband selbst als Zentralorgan für die Förderung des Spitzensports. Und soll dies nach dem Willen des Bundesinnenministeriums (BMI), das in diesem Jahr mit rund 130 Millionen Euro am meisten Steuergelder zur Förderung des Spitzensports bereitstellt, auch sein.
Dass nun die Ohren der DOSB-Vertreter in Person von Generaldirektor Michael Vesper und Leistungssportdirektor Bernhard Schwank nicht rot anliefen, mag daran gelegen haben, dass das Gesagte für sie nichts Neues war. Was es nicht besser macht. Schon länger steht das Thema Spitzensportförderung auf der Tagesordnung des DOSB. Immer mal wieder wurde etwas zur Verbesserung beschlossen. Nur hat das bisher nicht entscheidend gefruchtet.
Viele Altlasten aus der Bach-Ära
Für Alfons Hörmann liegt das in erster Linie an der Umsetzung. Konzepte gebe es genügend, hat der im Dezember neu gewählte DOSB-Präsident konstatiert – und damit indirekt seinem Vorgänger Thomas Bach ein schlechtes Zeugnis hinsichtlich der Abarbeitung akuter Probleme ausgestellt. Beispielsweise hatte der DOSB unter der Führung von Bach vor rund zehn Jahren eine „Traineroffensive“ ausgerufen. Weil das Berufsbild unklar ist, die Bezahlung zu oft unter dem internationalen Durchschnitt und es in ganz Deutschland keine international anerkannte akademische Ausbildung gibt – trotz einer DOSB-Trainerakademie oder der Deutschen Sporthochschule in Köln. Die vollmundig proklamierte Traineroffensive hat daran wenig geändert.
Nur ein Beispiel wie ein gut gemeintes Vorhaben wirkungslos im hiesigen monströs-komplexen föderalen Sportsystem verpuffen kann.
Die ebenfalls vom Sportausschuss geladene Liz Nicholl, CEO von UK Sports, berichtete wie es besser funktionieren kann, sogar mit weniger staatlichem Geld. Nur 40 Millionen Pfund, umgerechnet rund 50 Millionen Euro kommen vom Staat.
Großbritannien ein Vorbild?
Großbritannien hatte sein Fördersystem mit Blick auf die Spiele 2012 in London grundlegend reformiert und feierte erstaunliche Erfolge. Gefördert werden nur Sportarten, die Medaillen versprechen. Durch diese Fokussierung können Top-Athleten mit bis zu 28 000 Pfund jährlich, also 35 000 Euro, unterstützt werden. In Deutschland kann ein Sportler maximal 1500 Euro monatlich von der Deutschen Sporthilfe erwarten. Dafür werden hierzulande etwa dreimal so viele Athleten gefördert.
Die naheliegende Frage lautet: Könnte neben den anderen von den Sachverständigen vorgeschlagenen Verbesserungen (siehe unten) nicht auch eine derartige Konzentration die Lösung sein? Genau das müsse diskutiert werden, meinte Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses. „Gesellschaft, Politik und organisierter Sport können sich nicht vor der Frage drücken, welchen Spitzensport wir hierzulande haben wollen.“
Tatsächlich gibt es hierzu de facto aber keinen breiten Konsens. Will man eine Konzentration auf medaillenträchtigen Spitzensport oder eine breite Förderung vieler Sportarten? Bevor das nicht geklärt ist, werden die vorgeschlagenen Verbesserungen nicht die Trendwende bringen. Es muss eine größere Änderung her. Also entweder mehr Geld vom Staat oder Konzentration. Oder man sieht den anderen Nationen vermehrt beim Siegen zu.
Dass es nicht mehr Steuergelder geben wird, bekräftigte das BMI bereits Ende vergangenen Jahres. Damals hatte der DOSB Mehrbedarf angemeldet, um mit der Konkurrenz besser mithalten zu können.
Entscheidung gegen Curler ein Signal
Ende Oktober ließ eine Entscheidung des BMI den künftigen Weg aber erahnen: Aufgrund fehlender Erfolge wurde die Förderung für den Deutschen Curling-Verband komplett gestrichen. Zum Wohle aller anderen Sportarten.
Zwar versicherte Alfons Hörmann, es werde keine Konzentration auf Einzelne geben und „für die anderen Verbände können wir 2015 den Status quo beibehalten.“ Wenn nun aber schon mit der Regel gebrochen wurde, dass jede olympische Sportart eine Förderung erhält, warum dann nicht noch mehr als die 400 000 Euro der Curler auf stärkere Sportarten aufteilen? Zumal der DOSB den Mehrbedarf auf satte 38 Millionen Euro beziffert hatte.
Daher ist wohl eher die Frage, wann wieder eine ähnlich harte Entscheidung getroffen wird. Und nicht ob.
Schwächen der Spitzensportförderung (Auswahl)
- schlechte Verzahnung und unklare Zuständigkeiten von Bund und Ländern bei Sportförderung
- wissenschaftliche Betreuung bzw. Wissen deutscher Trainer mangelhaft
- Vereinbarung von Leistungssport mit Schule ist schwieriger geworden (z.B. durch G8-Abitur)
- deutsche Sportsystem ist nicht nach Kompetenz ausgerichtet, sondern nach Zuständigkeiten
- zu viele selbständige Akteure: 19 Olympiastützpunkte, Stiftung Deutsche Sporthilfe, Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT), Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES), Trainerakademie des DOSB etc.
- Es gibt keine international anerkannte akademische Trainerausbildung in Deutschland
- gesellschaftliche und finanzielle Stellung vieler Trainer weiterhin schlecht – die vom DOSB vor zehn Jahren ausgerufene Traineroffensive hat offenbar nichts gebracht; Spitzentrainer wandern ins Ausland ab
Vorschläge zur Verbesserung der Spitzensportförderung (Auswahl)
- Klares Ziel offiziell definieren: Was will Deutschland im Sport durch seine Förderung erreichen? Breite in der Spitze oder Erfolge in der Spitze?
- Wenn das Ziel Erfolge in der Spitze lautet, dann Konzentration auf einzelne, potenziell Medaillen trächtige Sportarten
- Bessere Verzahnung und des Industriestandortes Deutschland mit dem Leistungssportstandort Deutschland
- Bund-Länder-Abkommen, um Zuständigkeiten besser zu klären
- Fond für „Human Performance“ oder Fond für Leistungssport, um Zuständigkeit von Kommunen, verschiedenen Bundesländern und dem Bund zu erleichtern und zu bündeln
- Spezialisierung bei Olympiastützpunkten auf einzelne Sportarten (zusätzlich zu bisherigen Aufgaben)
- mehr hauptberufliches Management und mehr unternehmerisches Handeln als bisher
- Einrichtung einer akademischen Trainerausbildung
- Einrichtung von Trainer-Berater-Systemen in allen Spitzensportverbänden zur wissenschaftlichen Begleitung der Trainingssteuerung
- Schulzeitstreckung für Junioren-Sportler in allen Bundesländern ermöglichen
Link-Tipp: Denjenigen, die weitere Informationen zum Thema haben wollen, seien die schriftlichen Stellungnahmen der geladenen Sachverständigen wärmstens an Herz gelegt. Abrufbar (zumindest bis heute noch) sind diese über diesen Link.
Am werthaltigsten ist aus meiner Sicht klar das bereits erwähnte Schreiben von Prof. Mester, das jedoch noch von der präzisen Analyse von Christoph Niessen vom LSB NRW getoppt wird. Dafür muss ich fast schon einen Lesebefehlt aussprechen! (Leider konnten oder wollten insbesondere die Vertreter der Linken und Grünen die bestechenden Schlussfolgerungen von Niessen nicht verstehen und torpedierten seinen Auftritt vor dem Ausschuss mit zum Teil ziemlich begriffsstutzigen Nachfragen.)
*Dieser Text ist in einer leicht modifizierten Version in der November-Ausgabe des Fachmagazins SPONSORs zu lesen.
(Bildquelle: Jörg Brinckheger / pixelio.de)
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