Phänomen Randale-Tourismus in der Bundesliga
(Der nachfolgende Text wurde in einer gekürzten Version auf Spiegel Online veröffentlicht) Vor dem ersten Bundesligaspiel zwischen Hannover 96 und Eintracht Braunschweig seit 37 Jahren stellt sich die Polizei auf zureisende Fangruppen ein, die mitunter aus Basel, Wien oder Polen kommen. Es werden Randale befürchtet – nicht zuletzt wegen der allgemeinen Aufgeregtheit um das Derby und der regiden Maßnahmen des Vereins gegen die Ultraszene.
Dass das Spiel Hannover 96 gegen Eintracht Braunschweig am heutigen Abend etwas Besonderes ist, bekamen die 96-Profis beim Abschlusstraining am Mittwoch zu spüren: Fast 600 Fans waren gekommen für einen letzten Motivations-Kick.
Ein Akt der moralischen Unterstützung, ganz nach dem Geschmack der Vereinsführung. Seit Wochen appellieren sie an die Fans, es bei solch friedlichen Aktionen zu belassen und keine Gewalt im Umfeld des Derbys aufkommen zu lassen. Auch die Führung von Eintracht Braunschweig lässt kaum etwas unversucht und hat Radio-Spots oder eine ganzseitge Zeitungsanzeige mit entsprechendem Appell geschaltet. Zudem begleiten 50 Ordner sowie vier Fanbetreuer die Braunschweiger Fans bei ihrer Anreise.
Die Liste der Sicherheitsvorkehrungen der Polizei Hannover ist noch länger: So wurde zum Beispiel die Innenstadt von Hannover in zwei Fan-Zonen aufgeteilt (siehe Grafik), um so möglichst schon bei der An- und Abreise ein Aufeinanderprallen der Fanlager zu verhindern. „Fanmärsche und Zusammenkünfte größerer Gruppen in den Zonen des jeweils anderen Lagers“, so heißt es von der Polizei, würden „polizeilich unterbunden“. Kern dieser Zonen-Strategie ist die Umleitung der Sonderzüge aus Braunschweig zum Bahnhof Linden/Fischerhof südwestlich von der HDI Arena. Sollten dennoch einzelne Gruppen aus Braunschweig am Hauptbahnhof von Hannover aussteigen, werden diese über den Kurt-Schumacher am Steintor vorbei im großen Bogen zum Stadion geleitet. Kein ganz unproblematischer Plan: Schon jetzt regt sich Groll in der 96er-Fan-Szene, dass die Braunschweiger „ihren Kiez“, das Steintorviertel, durchqueren sollen.
Aus Sicherheitsgründen wurden nur 47 200 statt der sonst bei ausverkauften Spielen üblichen 49 000 Eintrittskarten abgesetzt: Dadurch soll es in der HDI Arena eine Pufferzone geben. Die Zahl an Ordnungskräften im Stadion wurde auf 700 aufgestockt, sonst sind es 580. Und Bier wird diesmal nur alkoholfrei ausgeschenkt.
Unbeteiligte könnten sich nun fragen: Ist das alles nicht ein bisschen viel Aufheben um ein Fußballspiel?
Holzkreuze und ein herumirrendes Schwein
Nein, muss leider die klare Antwort lauten, wenn man von den zum Teil äußerst geschmacklosen Sticheleien der verfeindeten Fanlager auf die allgemeine Stimmungslage schließt: In der Nacht zu Donnerstag irrte etwa ein Schwein mit Hannover-96-Schal und -Logo auf dem Bauch durch die Oststadt von Hannover. Beinahe wäre es von einem Auto überfahren worden. Das besonders geschmacklose daran: Auf einer Seite hatten die unbekannten Täter eine „1“ auf das Fell gesprüht – wohl in Anspielung auf 96-Torwart Robert Enke, dessen Todestag sich am Sonntag zum vierten Mal jährt. Auch soll von Braunschweiger Chaoten während des Spiels ein Bild von Robert Enke hochgehalten und angezündet werden. Zudem geistert in Fankreisen ein äußerst geschmackloses Gedicht über die Witwe von Enke. Der Verfasser soll aus Braunschweig kommen und mittlerweile deswegen Ärger mit der Polizei haben, wird erzählt.
Die Hannoveraner Fanszene ist aber nicht minder feindselig und erfindersich: Schon vor der Aktion mit der armen Sau in Hannover fand die Polizei an Braunschweiger Ortsschildern gelbe Holzkreuze mit einer blauen Aufschrift: „BTSV“ – der Braunschweiger Turn- und Sportverein wurde also symbolisch für tot erklärt. Wandschmiererein an den jeweiligen Stadien in Hannover und Braunschweig wirken da fast schon wie ein Kinderstreich. Und trotzdem haben in den letzten Tagen rund 20 Hannover-Fans eine Stadionwache abgehalten und dabei aufgrund eines Missverständnisses leider auch eine Zivilstreife attackiert.
Randale-Tourismus befürchtet
Die Einsatzleitung der Polizei Hannover begründet die verstärkten Sicherheitsmaßnahmen zudem mit Erkenntnissen, dass Fangruppierungen beider Klubs Anhänger befreundeter Vereine mobilisiert haben, sie beim Derby zu unterstützen. Es werden Gruppen aus Bielefeld und Hamburg erwartet, die ihre Fan-Freunde in Hannover unterstützen wollen. Dass Fußballanhänger aufgrund von gelebten Fan-Freundschaften quer durch Deutschland reisen, ist dabei weniger das Bemerkenswerte. So etwas gibt es bereits seit vielen Jahren und bereitet auch kaum Sorgen.
Zum Niedersachsen-Derby am Freitag werden aber bis dato nicht gekannte Reiseaktivitäten erwartet – wobei es Vermischungen von Ultras mit Hooligan-Gruppen geben soll, die teilweise sogar aus dem europäischen Ausland kommen. So gibt es etwa Hinweise darauf, dass die Hannoveraner Anhänger aus Chemnitz Zulauf bekommen – und das nur aus einem Grund: Weil das Braunschweiger Lager Unterstützung aus der Magdeburger Hool- und Ultraszene erwartet, die mit den Chemnitzern verfeindet sind. Aus ähnlichem Grund werden Anhänger von Rapid Wien erwartet, weil diese gehört haben, dass eine von ihnen gehasste und berüchtigte Hool-Gruppe aus Basel zur Unterstützung der Braunschweiger anreist. Auch aus Mannheim und Frankfurt sollen sich gewaltbereite und mit Braunschweigern in Kontakt stehende Fußball-Chaoten auf den Weg machen. Obendrauf wurde in einschlägigen Foren verbreitet, dass „zwei Busse mit Polen“ 96-Fans angreifen wollen. Im Gegenzug hält sich hartnäckig das Gerücht, dass 50 Kroaten gegen das Braunschweig-Lager losgehen werden.
Medienberichte eher unerwünscht
Die Polizei rechnet inoffiziell nicht nur wegen dieser Hinweise mit einer für die Bundesliga neuen Form von Randale-Tourismus. Über 800 gewaltbereite Personen werden allein den Fanlagern aus Braunschweig und Hannover zugeordnet. Mit wie vielen Randalieren tatsächlich beim Derby gerechnet wird, dazu macht die Polizei keine Angaben.
Auch sonst versucht sie, sich möglichst bedeckt mit Aussagen zu halten. Für Fanforscher Jonas Gabler genau das richtige Vorgehen: „Je weniger zu den möglichen Krawallen kommuniziert wird, umso besser.“ Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Berichterstattung eine „selbstverstärkende Wirkung“ entfalte, so Gabler: Je mehr darüber berichtet wird, umso mehr besteht die Gefahr, dass ein bestimmtes Klientel angelockt wird, das es schon in den 50er-Jahren gab und damals Halbstarke genannt wurde: zumeist jung, männlich und gewaltaffin.
Ein Derby wie am Freitag könnte für diese fehlgeleitete Klientel den gesuchten Anlass darstellen, um vielleicht eine Prise Action zu bekommen, so die Befürchtung.
Aber nicht nur Halbstarke wurden als Problem ausgemacht. Dietmar Schilff von der Gewerkschaft der Polizei in Niedersachsen berichtet von Hinweisen, wonach alte Hooligans beider Klubs, die sich früher mit 16, 17 Jahren geprügelt haben und heute Anfang fünfzig sind, motiviert fühlen, noch mal aktiv zu werden. „Dabei hatte sich die Fan-Feindschaft zwischen Braunschweig und Hannover eigentlich in den letzten Jahrzehnten beruhigt“, sagt Schilff. Das erste Bundesliga-Derby nach 37 Jahren, das mit Blick auf den Tabellenplatz von Braunschweig auch das vorerst letzte in Hannover sein könnte, scheint jedoch zu einer allgemeinen Aufgeregtheit zu führen, gegen die die Appelle der Vereine nutzlos zu sein scheinen.
Eine Hoffnung besteht aber: Auch im Vorfeld der WM 2006 in Deutschland gab es konkrete Hinweise, dass Hooligans etwa aus Polen anreisen und für Krawalle sorgen. Diese blieben dann jedoch aus – auch aufgrund der massiven Vorkehrungen der Polizei.
(Bildquelle: Daniel Hannes / pixelio.de)
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